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Einleitung Josef Leo Johannes
Die Russen kommen      
 

Mit meinem Bruder Helmut hatte ich die Aufgabe übernommen, täglich die Danziger Tageszeitung, den „Danziger Vorposten“, für unseren Einzugsbereich vom Vorortzug Haltestelle Neuschottland abzuholen und diese Exemplare bei der Wache der „Organisation Todt“ abzuliefern. Von dort sollten sich die Abonnenten ihre Zeitung abholen. Am 23. März 1945 erschien diese Zeitung letztmalig, somit auch unser letzter Einsatztag. An diesem Tag wurden wir von Tieffliegern beschossen nahmen Deckung in einem Panzergraben und lasen die die abgeworfenen Flugblätter. In diesen forderte der Marschall der Sowjetunion Rokossowski, Befehlshaber der 2. Bjelorussischen Front, die deutschen Truppen zum Einstellen der Kampfhandlungen auf.

Auch unser Vater sah ein, daß ein Verbleiben auf der Arbeitsstelle sinnlos war. Übergeordnete Dienststellen meldeten sich nicht mehr. Er kam und blieb zu Hause. Auf Grund der immer näher heranrückenden Front entschloß er sich, mit der Familie in den Hochbunker der Frauenklinik zu gehen. Es mag der 25.3. gewesen sein.

Am 27.3. war Langfuhr in russischer Hand. Die deutschen Truppen hatten diesen Ortsteil kampflos aufgegeben. Daher auch so gut wie keine Zerstörungen in Langfuhr.

Im Hochbunker, vier bis fünf Stockwerke hoch, er steht heute noch, war auch ein Lazarett der deutschen Wehrmacht eingerichtet. Der Chefarzt ging durch die Etagen und bereitete die Bunkerbesatzung auf das Erscheinen der Russen vor. Wir hatten schon Gutes und Schlechtes gehört. Alle waren erregt: was wird wohl mit uns geschehen? Das Warten nahm kein Ende. Und plötzlich waren sie da. „Uri“, „Ringe“, „Frau“, diese deutschen Worte waren ihnen geläufig.

Nach ein bis zwei Tagen durften wir den Bunker verlassen. Der Anblick der Umgebung erschreckte uns. Brennende Häuser! Tote Soldaten, Hitlerjungen, Zivilisten, auch Pferde lagen umher. Zuerst gingen wir zu Onkel Max im Simsonweg in den Keller in der Erwartung, bei einem überzeugten Kommunisten sicher untergebracht zu sein. Doch weit gefehlt. Es wurden keine Unterschiede gemacht. Dann bezogen wir den Keller, der zu unserer Wohnung in der Ostseestraße gehörte. Unser Glück war, daß sich in der Parterrewohnung eine Schneiderwerkstatt der Roten Armee einquartiert hatte. Wir wurden zufrieden gelassen.

Nachdem die Frontkräfte weitergezogen waren, und relativ Ruhe eingekehrt war, bezogen wir unsere Wohnung in der ersten Etage, die wir erst einmal gründlich zu reinigen hatten. Die Badewanne war als Latrine benutzt worden. Sie war fast voll von menschlichen Exkrementen. Wasser, Gas und Strom gab es nicht. Wasser mußte von einer Pumpe in der Gartenanlage Posadowskyweg geholt werden. Ruhe zog auch hier nie ein. Jetzt kamen die polnischen Soldaten oder die Miliz, um auch noch Uhren bzw. Schmuck zu fordern.

In dieser Zeit hatten russische Soldaten unseren Vater mitgenommen. Nach zwei bis drei Tagen kam er wieder nach Hause. Er wurde, so hatte ich gehört, wegen seiner Magenkrankheit nicht in die Gefangenschaft mitgenommen. Er sah sehr krank und verhungert aus. Er erzählte, daß die deutschen Männer in der Kathedrale von Oliva unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangengehalten wurden.

Zur Freilassung unseres Vaters weiß mein Bruder Helmut, daß zwei Ostarbeiterinnen, Ukrainerinnen, sich für unseren Vater eingesetzt hätten. Er habe diesen beiden während der letzten Kriegstage bei der Flucht geholfen und habe sie versteckt. Auch dieses ist glaubhaft; denn ich kann mich an zwei Ausländerinnen erinnern, die ich in unserer Wohnung gesehen habe, aber nach dem Kriege. Ich erinnere mich auch, daß wir während des Krieges den russischen Gefangenen Essen brachten. Wir stellten heimlich die Gefäße am Stacheldrahtzaun ab. Nach einer Weile standen dann die leeren Gefäße an gleicher Stelle zum Abholen bereit.

Die Freiheit unseres Vaters sollte nicht lange dauern. Eines Nachts, im April, kam die polnische Miliz und nahm ihn wie alle anderen deutschen Männer mit. Sie kamen in die Haftanstalt Schießstange in Danzig. Direkte Kontakte zu unserem Vater hatten wir nich t. Nur über uns unbekannte Kanäle, über Arbeitskommandos außerhalb des Gefängnisses erhielt unsere Mutter Grüße des Vaters. Wir Kinder wurden darauf auf­merksam gemacht, den Geburtstag der Mutter am 21. April nicht zu vergessen. Über solch eine uns unbekannte Verbindung überbrachte uns Onkel Max die traurige Nachricht vom Tode des Vaters. Wir waren tief bedrück t. Wie sollte es weitergehen? Unsere Mutter stand mit fünf Kindern, Uschi, die Jüngste, 1 ½ Jahre alt, alleine da. Eine offizielle Nachricht über den Tod unseres Vaters erhielten wir nie. Spätere Anfragen über das Deutsche Rote Kreuz brachten keine Ergebnisse. In der DDR war solch ein Thema tabu. Unsere Mutter erhielt auch von der deutschen Reichsbahn keine Witwenrente. Erst nach der Wende, am 15. 10. 1997, erhielt ich auf Nachfragen in der Vollzugsanstalt Schießstange in Danzig den Auszug aus der Totenliste vom Monat April 1945. darin ist unser Vater als lfd. Nr.3 auf der Liste Nr. 4 geführt. Der Todestag, die Todesursache sowie der Ort der Bestattung wurden nicht nachgewiesen.1


Vater Josef

1Auszug aus der Festschrift „775 Jahre Gemeinde Rubow“, das Jahr 1945 Antwortschreiben des Direktors der Arrestanstalt Danzig-Schießstange vom 15. Oktober 1997 mit dem Auszug aus der Totenliste Mai 1945 mit unserem Vater (siehe Bilder und Dokumente Seite 48)

     
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