Der
ostzonale Zug kam. Die Personenwagen waren reserviert für
die russischen Militärangehörigen,
alle anderen nur offene oder Viehwaggons. Anfang Dezember kamen
wir dann in Angermünde an, wurden in Klassenräumen einer
Schule untergebracht. Vorbereitet als Unterkunft war nichts. Wir
saßen bzw. lagen auf und zwischen den Bänken. Hier erhielten
wir erstmalig und täglich warmes Essen: Eintopf. Doch, um
dieses Essen holen zu können, hatten wir keine Behältnisse
(auch keine Löffel). Geschäfte waren geöffnet. Zahlungsmittel
war die deutsche Reichsmark. Als Behälter
kauften wir Gefäße, die für Einläufe bei Verstopfungen
bestimmt waren. Etwas anderes gab es nicht. Die Auslauftülle
verschlossen wir mit Holzstöpseln. Henkel waren keine dran.
Wir verbrannten uns an der heißen Suppe die Finger.
Daß es Anfang Dezember war, schließe
ich aus meinem Geburtstag, der am 4. Dezember ist. Es ist der
14. Geburtstag fern der Heimat auf Schulbänken. Die Zukunft
war nicht vorauszusehen. Sie bestimmten andere.
Nach einigen
Tagen erhielten wir die Aufforderung, auf dem Bahnhof der Stadt
zu erscheinen. Ein Transport stände bereit.
Wohin, sagte niemand. Es fragte auch keiner. Wichtig war für
die Menschen, endlich eine Bleibe, ein Dach über den Kopf
zu bekommen. Der Zug stand mit geschlossenen Güterwagen
bereit. Keine Öfen, kalter Fußboden, keine Möglichkeit
für die Notdurft. Es ging jedoch organisierter vor sich.
Waggonälteste wurden eingeteilt, die Belegung wurde festgelegt,
Brote wurden verteilt.
Nach einigen
Stunden Fahrt hielt der Zug auf freier Strecke. Keiner wußte,
wo wir waren. Die Lok legte ab. Kein Bahnsteig weit und breit.
Von Waggon zu Waggon eilte die Nachricht, hier müßten
alle aussteigen und ca. fünf Kilometer laufen, um in ein Lager
zu kommen. Einen Verantwortlichen für den Transport sahen
wir nicht.
Schwierigkeiten
ergaben sich beim Aussteigen. Insbesondere die Alten und die
Kinder hatten große Mühe, die Höhe
der Waggons, des Bahnkörper und dann den Bahndamm zu überwinden.
Einen Bahnsteig gab es ja nicht.
Hier, beim
Aussteigen, spürte unsere Schwester Brigitte beim
Aufsetzen auf den Boden ihre Füße nicht mehr. Sie
trug, wie wir alle, keine Winterschuhe, hatte nur Gummischuhe
an, Galoschen genannt, die in normalen Zeiten über Lederschuhen
getragen wurden. Hierbei machte sich erstmalig die fehlende Bewegung
im Waggon während der Fahrten bemerkbar. Die Gliedmaßen
wurden zu wenig durchblutet. Ich erinnere mich, daß unsere
Mutter oft mit Nachdruck forderte „Bewegt euch!“ Doch nur der Geist
war willig, aber das Fleisch war schwach, sehr schwach.
Die Insassen
stiegen aus und bewegten sich in losen Grüppchen,
schleppenden Ganges und erstmals ohne Bewachung in die besagte
Richtung durch Wald und Flur. Noch immer wußte niemand, wo
wir waren. Kein Haus, kein Hof war zu sehen. |
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