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Einleitung Josef Leo Johannes
In Mecklenburg - Vorpommern      
 

Der ostzonale Zug kam. Die Personenwagen waren reserviert für die russischen Militärangehörigen, alle anderen nur offene oder Viehwaggons. Anfang Dezember kamen wir dann in Angermünde an, wurden in Klassenräumen einer Schule untergebracht. Vorbereitet als Unterkunft war nichts. Wir saßen bzw. lagen auf und zwischen den Bänken. Hier erhielten wir erstmalig und täglich warmes Essen: Eintopf. Doch, um dieses Essen holen zu können, hatten wir keine Behältnisse (auch keine Löffel). Geschäfte waren geöffnet. Zahlungsmittel war die deutsche Reichsmark. Als Behälter kauften wir Gefäße, die für Einläufe bei Verstopfungen bestimmt waren. Etwas anderes gab es nicht. Die Auslauftülle verschlossen wir mit Holzstöpseln. Henkel waren keine dran. Wir verbrannten uns an der heißen Suppe die Finger.

Daß es Anfang Dezember war, schließe ich aus meinem Geburtstag, der am 4. Dezember ist. Es ist der 14. Geburtstag fern der Heimat auf Schulbänken. Die Zukunft war nicht vorauszusehen. Sie bestimmten andere.

Nach einigen Tagen erhielten wir die Aufforderung, auf dem Bahnhof der Stadt zu erscheinen. Ein Transport stände bereit. Wohin, sagte niemand. Es fragte auch keiner. Wichtig war für die Menschen, endlich eine Bleibe, ein Dach über den Kopf zu bekommen. Der Zug stand mit geschlossenen Güterwagen bereit. Keine Öfen, kalter Fußboden, keine Möglichkeit für die Notdurft. Es ging jedoch organisierter vor sich. Waggonälteste wurden eingeteilt, die Belegung wurde festgelegt, Brote wurden verteilt.

Nach einigen Stunden Fahrt hielt der Zug auf freier Strecke. Keiner wußte, wo wir waren. Die Lok legte ab. Kein Bahnsteig weit und breit. Von Waggon zu Waggon eilte die Nachricht, hier müßten alle aussteigen und ca. fünf Kilometer laufen, um in ein Lager zu kommen. Einen Verantwortlichen für den Transport sahen wir nicht.

Schwierigkeiten ergaben sich beim Aussteigen. Insbesondere die Alten und die Kinder hatten große Mühe, die Höhe der Waggons, des Bahnkörper und dann den Bahn­damm zu überwinden. Einen Bahnsteig gab es ja nicht.

Hier, beim Aussteigen, spürte unsere Schwester Brigitte beim Aufsetzen auf den Boden ihre Füße nicht mehr. Sie trug, wie wir alle, keine Winterschuhe, hatte nur Gummischuhe an, Galoschen genannt, die in normalen Zeiten über Lederschuhen getragen wurden. Hierbei machte sich erstmalig die fehlende Bewegung im Waggon während der Fahrten bemerkbar. Die Gliedmaßen wurden zu wenig durchblutet. Ich erinnere mich, daß unsere Mutter oft mit Nachdruck forderte „Bewegt euch!“ Doch nur der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach, sehr schwach.

Die Insassen stiegen aus und bewegten sich in losen Grüppchen, schleppenden Ganges und erstmals ohne Bewachung in die besagte Richtung durch Wald und Flur. Noch immer wußte niemand, wo wir waren. Kein Haus, kein Hof war zu sehen.



     
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