Mit
unseren Verwandten in Westdeutschland hatten wir brieflich Verbindung
aufgenommen und auch andere
Verwandte und Bekannte aus Danzig über den Suchdienst des
Roten Kreuzes gefunden. Zwei Tanten kamen, um uns in den Westen
zu holen. Es klappte nicht. 1948 versuchte es unsere Mutter zweimal,
mit uns über die grüne Grenze zu gelangen. Wir scheiterten
am eigenen Unvermögen, an fehlenden Ortskenntnissen,
aus Furcht vor Bestrafung. Bei Nacht und Nebel kehrten wir wieder
nach Drieberg zurück und bezogen die verlassene Wohnung. Es
sollte nicht sein.
Helmut und ich nahmen Arbeit
bei einem Bauern auf, ich beim Bauern Heinrich Böthling für
monatlich 30 Mark und volle Verpflegung. Waltraud erlernte Schreibmaschine
und Steno, begann ihre Dienstzeit bei der Wasserschutzpolizei in
Waren/Müritz und ging
1953 illegal in die BRD.
Viele Jahre war die Verbindung
zu unserer Schwester Waltraud aus für uns unerklärlichen
Gründen unterbrochen.
Unsere wiederholten Versuche, Verbindung aufzunehmen, wurden
nicht beantwortet. Unsere Mutter war darüber sehr traurig.
Auch auf das Ableben unserer Mutter reagierte Waltraud nicht.
Erst nachdem sie erfahren hatte, daß unsere Schwester Ursula
verstorben war, nahm sie den brieflichen Kontakt zu mir nach langer
Zeit des Wartens und der Ungewißheit wieder auf. Vieles,
wenn auch nicht alles, konnte geklärt werden. Viele Mißverständnisse
sind ausgeräumt worden, Vertrauen wurde geweckt.
Im Sommer 1949 ergab sich für mich die Gelegenheit, mit einem
Bewohner des Dorfes illegal über die grüne Grenze in
die Westzone zu kommen. In der Nacht überschritten wir die
Zonengrenze bei Mustin in der Nähe von Ratzeburg trotz Anruf
und Gewehrfeuer. Mein Ziel war, Zuzug zu erhalten, bei den
Verwandten unterzukommen, einen Beruf zu erlernen, bzw. eine Arbeit
zu bekommen, somit Voraussetzungen für das Nachkommen unserer
Familie zu ermöglichen. Im Aufnahmeheim in Büchen meldeten
wir uns. Das war Bedingung für einen Zuzug. Nach Anmeldung
und Registrierung folgte die Vorstellung bei zwei männlichen
Zivilisten. Die Herren stellten sich nicht vor. Sie stellten nur
Fragen und erwarteten konkrete Antworten.
„Wo sind Standorte, Kasernen der russischen Armee? Bewegungen
der russischen Armee auf welchen Straßen, in welchen Richtungen,
mit welchen Fahrzeugtypen?“
Leider konnte ich ihnen keine Antworten
geben. Im Umkreis von Drieberg gab es weit und breit keine Standorte
russischer Truppen. An Fahrzeugen durchfuhr vielleicht einmal
im Monat ein LKW unser Dorf, auch nur, um getragene Uniformstücke gegen Schnaps einzutauschen.
So wurde ich einmal stolzer Besitzer einer khakifarbenen Stiefelhose,
wenn auch ohne Stiefel. Wichtig war die Hose. Nach dieser Vorstellung
entschieden die Männer über mich:
„Erhält keinen Zuzug!“
Sie gaben mir eine Fahrkarte für zurück nach Ratzeburg
und danach in die russische Besatzungszone. Ich wurde für
zu leicht befunden, war es auch. Man konnte mich nicht gebrauchen.
Mein Weggefährte durfte bleiben. Mit finanzieller Unterstützung
durch dessen Verwandtschaft reiste ich jedoch nach Hagen/Vorhalle
zu Onkel Bernhard, Mutters Bruder. Auf dem Bahnhof dort wurde
ich gefragt, ob ich Heimkehrer aus russischer Gefangenschaft sei.
Vielleicht sah ich so aus.
Dort untergekommen versuchte ich,
auch mit Hilfe der Verwandtschaft, für mich Zuzug und somit eine Wohnberechtigung zu erhalten.
Das war Voraussetzung für eine Arbeitsaufnahme. Auch hier
klappte es nich t. Ich nahm eine Arbeit bei einem Bauern auf, ohne
Arbeitsvertrag, ohne Aufenthaltsgenehmigung. Mein Entschluß stand
fest: Geld für die Rückfahrt erarbeiten. Zurück
nach Drieberg! Unter solchen Bedingungen konnte ich auch dort arbeiten,
hatte als Landarbeiter sogar mehr Rechte und wurde nicht schikanier
t. Ich war dort „zu Hause“, weil meine Mutter und Geschwister dort
waren.
Zurück wieder illegal über die grüne Grenze bei Groß Thurow,
Kreis Gadebusch. Zwei Jungen von dort, die oft die Grenze passierten
und in der Westzone Tauschgeschäfte machten, führten mich
sicher. Sie kannten sich gut aus. So traf ich eines Tages im Oktober
1949 wieder in unserem „Zuhause“ Drieberg ein. Mich hatte niemand,
dachte ich, so richtig vermiß t. Ich war noch immer Driebergs
Einwohner und begann wieder meine Arbeit bei Bauer Böthling.
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