Startseite Kontakt Impressum Rezension
Einleitung Josef Leo Johannes

Versuche, in den Westen zu entkommen

     
 

Mit unseren Verwandten in Westdeutschland hatten wir brieflich Verbindung aufgenommen und auch andere Verwandte und Bekannte aus Danzig über den Suchdienst des Roten Kreuzes gefunden. Zwei Tanten kamen, um uns in den Westen zu holen. Es klappte nicht. 1948 versuchte es unsere Mutter zweimal, mit uns über die grüne Grenze zu gelangen. Wir scheiterten am eigenen Unvermögen, an fehlenden Ortskenntnissen, aus Furcht vor Bestrafung. Bei Nacht und Nebel kehrten wir wieder nach Drieberg zurück und bezogen die verlassene Wohnung. Es sollte nicht sein.

Helmut und ich nahmen Arbeit bei einem Bauern auf, ich beim Bauern Heinrich Böthling für monatlich 30 Mark und volle Verpflegung. Waltraud erlernte Schreibmaschine und Steno, begann ihre Dienstzeit bei der Wasserschutzpolizei in Waren/Müritz und ging 1953 illegal in die BRD.

Viele Jahre war die Verbindung zu unserer Schwester Waltraud aus für uns unerklärlichen Gründen unterbrochen. Unsere wiederholten Versuche, Verbindung aufzunehmen, wurden nicht beantwortet. Unsere Mutter war darüber sehr traurig. Auch auf das Ableben unserer Mutter reagierte Waltraud nicht. Erst nachdem sie erfahren hatte, daß unsere Schwester Ursula verstorben war, nahm sie den brieflichen Kontakt zu mir nach langer Zeit des Wartens und der Ungewißheit wieder auf. Vieles, wenn auch nicht alles, konnte geklärt werden. Viele Mißverständnisse sind ausgeräumt worden, Vertrauen wurde geweckt.

Im Sommer 1949 ergab sich für mich die Gelegenheit, mit einem Bewohner des Dorfes illegal über die grüne Grenze in die Westzone zu kommen. In der Nacht überschritten wir die Zonengrenze bei Mustin in der Nähe von Ratzeburg trotz Anruf und Gewehr­feuer. Mein Ziel war, Zuzug zu erhalten, bei den Verwandten unterzukommen, einen Beruf zu erlernen, bzw. eine Arbeit zu bekommen, somit Voraussetzungen für das Nachkommen unserer Familie zu ermöglichen. Im Aufnahmeheim in Büchen meldeten wir uns. Das war Bedingung für einen Zuzug. Nach Anmeldung und Registrierung folgte die Vorstellung bei zwei männlichen Zivilisten. Die Herren stellten sich nicht vor. Sie stellten nur Fragen und erwarteten konkrete Antworten.

„Wo sind Standorte, Kasernen der russischen Armee? Bewegungen der russischen Armee auf welchen Straßen, in welchen Richtungen, mit welchen Fahrzeugtypen?“

Leider konnte ich ihnen keine Antworten geben. Im Umkreis von Drieberg gab es weit und breit keine Standorte russischer Truppen. An Fahrzeugen durchfuhr vielleicht einmal im Monat ein LKW unser Dorf, auch nur, um getragene Uniformstücke gegen Schnaps einzutauschen. So wurde ich einmal stolzer Besitzer einer khakifarbenen Stiefelhose, wenn auch ohne Stiefel. Wichtig war die Hose. Nach dieser Vorstellung entschieden die Männer über mich:

„Erhält keinen Zuzug!“

Sie gaben mir eine Fahrkarte für zurück nach Ratzeburg und danach in die russische Besatzungszone. Ich wurde für zu leicht befunden, war es auch. Man konnte mich nicht gebrauchen. Mein Weggefährte durfte bleiben. Mit finanzieller Unterstützung durch dessen Verwandtschaft reiste ich jedoch nach Hagen/Vorhalle zu Onkel Bern­hard, Mutters Bruder. Auf dem Bahnhof dort wurde ich gefragt, ob ich Heimkehrer aus russischer Gefangenschaft sei. Vielleicht sah ich so aus.

Dort untergekommen versuchte ich, auch mit Hilfe der Verwandtschaft, für mich Zu­zug und somit eine Wohnberechtigung zu erhalten. Das war Voraussetzung für eine Arbeitsaufnahme. Auch hier klappte es nich t. Ich nahm eine Arbeit bei einem Bauern auf, ohne Arbeitsvertrag, ohne Aufenthaltsgenehmigung. Mein Entschluß stand fest: Geld für die Rückfahrt erarbeiten. Zurück nach Drieberg! Unter solchen Bedingungen konnte ich auch dort arbeiten, hatte als Landarbeiter sogar mehr Rechte und wurde nicht schikanier t. Ich war dort „zu Hause“, weil meine Mutter und Geschwister dort waren.

Zurück wieder illegal über die grüne Grenze bei Groß Thurow, Kreis Gadebusch. Zwei Jungen von dort, die oft die Grenze passierten und in der Westzone Tauschgeschäfte machten, führten mich sicher. Sie kannten sich gut aus. So traf ich eines Tages im Oktober 1949 wieder in unserem „Zuhause“ Drieberg ein. Mich hatte niemand, dachte ich, so richtig vermiß t. Ich war noch immer Driebergs Einwohner und begann wieder meine Arbeit bei Bauer Böthling.


     
zurück Inhalt weiter