Bereits
nach den Sommerferien 1944 wurde der Schulbeginn für unsere
Schule auf unbestimmte Zeit verschoben. Keine Schularbeiten,
keine Sorgen um gute Noten. Das Negative sahen wir nicht. Nicht
an allen Schulen der Stadt war es so. Es betraf nur solche, die
als Reservelazarett eingerichtet bzw. als Kaserne genutzt wurden.
Unsere
Mutter hatte ihre liebe Not, uns hungrige Mäuler täglich
satt zu bekommen. Die Versorgung der Bevölkerung war rationiert
und bis zur Aufgabe der Stadt gesichert. Nur durch den Erhalt
weiterer Brotmarken von den Verwandten aus dem Ruhrgebiet
und die Großzügigkeit unserer Bäckersfrau Malinski
konnten wir uns an Brot satt essen. Zum Weihnachtsfest 1944 erhielten
wir als Familie auf Lebensmittelkarten sogar eine Weihnachtsgans.
Diskussionen über den Ausgang des Krieges und die Zeit danach
in der Familie und im Kreis der Erwachsenen hörten wir nicht.
Unsere Eltern achteten auch streng darauf, daß das
Verbot des Abhörens ausländischer Sender eingehalten
wurde.
Unser Onkel Max, Hafenarbeiter und
Kommunist, sehnte das schnelle Ende des Krieges und die Rote
Armee herbei. Er wurde eines Besseren belehrt. Er verließ mit
Unterstützung
der Roten Hilfe1 sehr schnell
sein altes Zuhause.
Viele Einwohner unserer Straße verließen die Stadt,
teils, als es noch möglich war, auf dem Schienenweg, später
auf dem Wasserweg, hier zwar zögerlich; der Untergang der „Gustloff“ hatte
sich herumgesprochen. In unserer Familie war die Flucht nicht aktuell,
noch nicht. Als es so weit war, war es zu spät. Unser Vater
hatte bis zuletzt eine Aufgabe der Reichsbahn zu erfüllen.
Erst auf Weisung sollte er mit der Familie mit dem letzten Zug
Danzig verlassen. Die Weisung, seinen Posten zu verlassen, erhielt
er nie, und ein Zug fuhr auch nicht mehr ab. Wohin auch? Die Russen
standen schon an der Oder.
Die Personalunterlagen des Vaters
lagerten bereits in der Reichsbahndirektion Schwerin. Dorthin
sollte er mit Familie kommen. Das wußten
wir. Dieses Schwerin hatten wir uns schon auf der Landkarte ausgeguckt.
Daß es uns einmal hierher verschlagen sollte und unter
welchen Umständen, hätten wir nie gedacht.
Die
Front rückte näher. Viele Trecks aus dem Osten lagerten
in den Parkanlagen. Die Pferde waren erschöpft, fielen um und
waren alleine nicht in der Lage, wieder aufzustehen. Die
Pferde wurden dann mit Hilfe von Seilwinden aufgerichtet, erholten
sich und mußten weiter traben bis
zum nächsten Umfallen. Auch deutsches Militär war mehr
als bisher zu sehen. Vierlingsflak bezog Stellung in den Parkanlagen.
Geschützdonner kam näher. Tiefflieger der Russen
zerstörten den Flugplatz Danzig-Langfuhr.
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1Die
Rote Hilfe war eine Hilfsorganisation der Kommunistischen Partei
Deutschlands |