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Einleitung Josef Leo Johannes
Sorge und Kampf um das tägliche Brot      
 

Das Schwierigste in dieser Zeit war, die Ernährung zu sichern. Einiges, was wir noch besaßen oder fanden, wurde auf dem Schwarzen Markt gegen Zloty getauscht. Oft hatten wir auch Pech, wurden betrogen oder erhielten gar nichts. Wir, die Deutschen waren Freiwild geworden. Einige Geschäfte, wie der Molkereiladen Gobel unter einem anderen Besitzer, waren geöffnet, und für Zlotys konnten Grundnahrungsmittel gekauft werden. Aber auch Helmut und ich zogen los, um Nahrhaftes zu finden. In abgebrannten Lagerhallen fanden wir Reste von Zucker und Buchweizen, in den Behältern der Firma AMADA Öl, in leerstehenden Wohnungen kochfertige Maggisuppen, Eingewecktes und anderes. Wo waren wir nicht überall! Angst hatten wir auch dabei. Unsere Mutter machte sich um uns Sorgen.

Bei diesen Streifzügen sahen wir auch schreckliche Bilder: verstorbene Verwundete in ihren Betten, erschlagene, erstochene deutsche Soldaten, deutsche Zivilisten. Man fragt: wie konntet ihr überleben, wie habt ihr durchgehalten? Die Not, die Aufgabe, die Familie durchzubringen, machte Mut, weckte Initiativen, schweißte zusammen. Aus geschlachteten Pferden schnitten wir uns Fleischstücke, die uns Tante Rosa, die Ehefrau von Onkel Max, zubereitete. Mutter ekelte sich davor. Helmut schleppte einmal einen Wassereimer voller Ferkel an. Diese hatten polnische Soldaten ihm gegeben. Sie hatten eine trächtige Sau geschlachtet. Dieses Fleisch war jedoch nicht zu genießen.

Um an Geld (Zlotys) zu kommen, nahm meine Mutter mit Tante Lieschen und Georg eine Arbeit bei der Straßenbahn an. Hauptsächlich waren es Aufräumungsarbeiten. Während solcher Arbeiten, am 26. Juli 1945, wurde Tante Lieschen darüber benachrichtigt, daß ihre Kinder die Wohnung im Posadowskyweg räumen mußten. Tante Lieschen kam noch rechtzeitig dort an, fand die Kinder und ging auf Transport in Rich­tung Westen. Georg, unser Vetter, kam nach Hause, die Familie war nicht mehr da. Er meldete sich bei uns und wohnte zeitweilig bei uns.

Unsere Mutter und ich begannen auf der Baustelle in der Frauenklinik zu arbeiten. Es war nicht weit dorthin. Wir erhielten ein warmes Mittagessen und verdienten jeder wöchentlich 100,-Zloty. Auch erhielten wir Lebensmittelkarten. Dieser Verdienst trug wesentlich zum Überleben bei. Ein Weißbrot kostete 20,-Zloty.

Wir zogen auch mit einem Handwagen übers Land, um Kartoffelnmieten zu suchen in denen die Bauern ihre Ernte von 1944 eingelagert hatten. Die Fahrten, die ca. 8 bis 12 Stunden dauerten und über Strecken von 15 bis 20 km gingen, waren nicht ganz ungefährlich. Die Sperrstunden von 20 bis 8 Uhr mußten eingehalten werden. Insbesondere beim Marsch durch die Stadt griffen sich die russischen Soldaten willkürlich Menschen heraus um sie in Arbeitskommandos einzusetzen. Dieses geschah auf Anordnung der russischen Armee.

Die Nächte in den Scheunen und Ställen in der Nähe der Kartoffelmieten waren beängstigend und voller Unruhe für die Frauen. Oft tauchten russische Soldaten auf. Es kam auch vor, daß uns die mühsam gesammelten Kartoffeln mitsamt den Säcken von der russischen Armee weggenommen wurden. Auf der Rückfahrt standen an der Straße notleidende Deutsche und bettelten um Kartoffeln, besonders in der Halben Allee vor dem Städtischen Krankenhaus. Dort bekamen sie nichts zu essen. Nicht zu vergessen: der Ausleiher des Handwagens verlangte auch seinen Zins. Aber diese Quellen, die weit entfernten Kartoffelmieten, versiegten bald.


     
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