Das Schwierigste
in dieser Zeit war, die Ernährung zu sichern. Einiges, was
wir noch besaßen
oder fanden, wurde auf dem Schwarzen Markt gegen Zloty getauscht.
Oft hatten wir auch Pech, wurden betrogen oder erhielten gar
nichts. Wir, die Deutschen waren Freiwild geworden. Einige Geschäfte,
wie der Molkereiladen Gobel unter einem anderen Besitzer, waren
geöffnet, und für Zlotys konnten Grundnahrungsmittel
gekauft werden. Aber auch Helmut und ich zogen los, um Nahrhaftes
zu finden. In abgebrannten Lagerhallen fanden wir Reste von
Zucker und Buchweizen, in den Behältern der Firma AMADA Öl,
in leerstehenden Wohnungen kochfertige Maggisuppen, Eingewecktes
und anderes. Wo waren wir nicht überall! Angst hatten wir
auch dabei. Unsere Mutter machte sich um uns Sorgen.
Bei diesen Streifzügen sahen wir auch
schreckliche Bilder: verstorbene Verwundete in ihren Betten, erschlagene,
erstochene deutsche Soldaten, deutsche Zivilisten. Man fragt: wie
konntet ihr überleben, wie habt ihr durchgehalten? Die Not,
die Aufgabe, die Familie durchzubringen, machte Mut, weckte Initiativen,
schweißte
zusammen. Aus geschlachteten Pferden schnitten wir uns Fleischstücke,
die uns Tante Rosa, die Ehefrau von Onkel Max, zubereitete.
Mutter ekelte sich davor. Helmut schleppte einmal einen Wassereimer
voller Ferkel an. Diese hatten polnische Soldaten ihm gegeben.
Sie hatten eine trächtige Sau geschlachtet. Dieses Fleisch
war jedoch nicht zu genießen.
Um an Geld (Zlotys) zu kommen, nahm
meine Mutter mit Tante Lieschen und Georg eine Arbeit bei der
Straßenbahn an. Hauptsächlich
waren es Aufräumungsarbeiten. Während solcher Arbeiten,
am 26. Juli 1945, wurde Tante Lieschen darüber benachrichtigt,
daß ihre Kinder die Wohnung im Posadowskyweg räumen
mußten. Tante Lieschen kam noch rechtzeitig dort an,
fand die Kinder und ging auf Transport in Richtung Westen.
Georg, unser Vetter, kam nach Hause, die Familie war nicht mehr
da. Er meldete sich bei uns und wohnte zeitweilig bei uns.
Unsere Mutter und ich begannen auf
der Baustelle in der Frauenklinik zu arbeiten. Es war nicht weit
dorthin. Wir erhielten ein warmes Mittagessen und verdienten
jeder wöchentlich 100,-Zloty. Auch
erhielten wir Lebensmittelkarten. Dieser Verdienst trug wesentlich
zum Überleben bei. Ein Weißbrot kostete 20,-Zloty.
Wir zogen auch mit einem Handwagen übers
Land, um Kartoffelnmieten zu suchen in denen die Bauern ihre Ernte
von 1944 eingelagert hatten. Die Fahrten, die ca. 8 bis 12 Stunden
dauerten und über Strecken
von 15 bis 20 km gingen, waren nicht ganz ungefährlich.
Die Sperrstunden von 20 bis 8 Uhr mußten eingehalten
werden. Insbesondere beim Marsch durch die Stadt griffen sich
die russischen Soldaten willkürlich Menschen heraus um sie
in Arbeitskommandos einzusetzen. Dieses geschah auf Anordnung
der russischen Armee.
Die Nächte in den Scheunen und
Ställen in der Nähe
der Kartoffelmieten waren beängstigend und voller Unruhe
für die Frauen. Oft tauchten russische Soldaten auf. Es kam
auch vor, daß uns die mühsam gesammelten Kartoffeln mitsamt
den Säcken von der russischen Armee weggenommen wurden. Auf
der Rückfahrt standen an der Straße notleidende Deutsche
und bettelten um Kartoffeln, besonders in der Halben Allee vor dem
Städtischen Krankenhaus. Dort bekamen sie nichts zu essen.
Nicht zu vergessen: der Ausleiher des Handwagens verlangte auch
seinen Zins. Aber diese Quellen, die weit entfernten Kartoffelmieten,
versiegten bald. |
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