Eines
Abends, im Monat August, erschien bei uns ein polnisches Ehepaar.
Sie sagten der Mutter, ab sofort gehöre diese, unsere Wohnung ihnen. Wir dürften in einem
Zimmer weiterhin wohnen und die Küche benutzen.
Im dritten Stock unseres Aufgangs
wohnte die Tochter von Onkel Max mit zwei Kleinkindern, die im Sommer verstarben. Deren
Ehemann war Solda t. Mit ihrer Untermieterin, einem jungen
Mädchen, verkehrte sie mit Offizieren der russischen Marine,
die jeden Abend bei ihr einkehrten. Unsere Mutter holte man dann
oft, um ihnen warmes Essen zuzubereiten. Dadurch hatten wir auch
unser Gutes, vor allem wieder einmal Fleisch zu essen.
Eines
Nachts kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den russischen Militärs
und dem Polen, der bei uns wohnte. Dabei wurde er tüchtig verprügelt.
Uns war es mehr als recht. Diesen Vorfall nahm der Pole zum Anlaß und
forderte unsere Mutter auf, die Wohnung innerhalb von drei Tagen
zu verlassen. Er meinte, wir hätten diesen Zwischenfall
inszeniert. Unsere Mutter
suchte nach einer Bleibe. Zuerst fanden wir Unterkunft
bei Tante Bari in Schidlitz. Dort war es auch sehr beengt.
Wenn ich mich recht erinnere, waren dort auch Tante Hedwig
und Tante Lene. Helmut und ich schliefen auf dem Trockenboden.
Aus der Ostseestraße durften wir nur das Kinderbettgestell
und unsere Federbetten mitnehmen. Georg, unser Vetter, half uns
mit einem Handwagen beim Umziehen.
Noch zweimal wechselten wir die Bleibe.
Erst ging es nach Ohra in die Gartenanlage am Petersberg zu einer
uns bekannten Familie und von dort dann in die Neue Sorge in
eine leerstehende Wohnung. Nebenan wohnte die uns bekannte Familie
Heintze. Diese Wohnung hatte ein Zimmer und Küche voller
Wanzen. Die Toilette war im Keller. So etwas kannten wir nicht.
Weiterhin gingen unsere Mutter und
ich täglich zur Arbeit
auf die Baustelle der Frauenklinik in Langfuhr. Es mußte
ja Geld verdient werden, um etwas zum Essen zu haben. Ein
langer und beschwerlicher Weg, eine Stunde, gut 6 km, über
den Zigankenberg, vorbei am Sportplatz Albert Forster, am
Städtischen Krankenhaus, über die Halbe Allee, vorbei
an der Sporthalle zum Ziel.
Helmut, 11 Jahre
alt, als Chef der Restfamilie, war verantwortlich für die drei Schwestern und hatte für
das nötige
Brennholz zu sorgen. Dazu riß er eine Gartenlaube nach der
anderen in der Gartenanlage neben uns ab. Die Besitzer waren nicht
mehr anwesend. Das Holz zerkleinerte er auf unserem Hof. Am Sonntag
kochte unsere Mutter so viel Eintopf, daß es für die Woche
reichen mußte. Brot hatten wir auf Lebensmittelkarten
gekauft. Aus der Wohnung trauten sich unsere Schwestern nicht heraus.
Auch hatte es die Mutter streng verboten. Mit Schrecken dachten wir
an den herannahenden Winter. Wie sollten wir überleben? Eine
Antwort fanden wir nicht. Dieses Problem löste sich schneller
als gedacht, aber auch schmerzlicher. |