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Einleitung Josef Leo Johannes

Unter polnischer Herrschaft

     
 

Eines Abends, im Monat August, erschien bei uns ein polnisches Ehepaar. Sie sagten der Mutter, ab sofort gehöre diese, unsere Wohnung ihnen. Wir dürften in einem Zimmer weiterhin wohnen und die Küche benutzen.

Im dritten Stock unseres Aufgangs wohnte die Tochter von Onkel Max mit zwei Klein­kindern, die im Sommer verstarben. Deren Ehemann war Solda t. Mit ihrer Untermie­terin, einem jungen Mädchen, verkehrte sie mit Offizieren der russischen Marine, die jeden Abend bei ihr einkehrten. Unsere Mutter holte man dann oft, um ihnen warmes Essen zuzubereiten. Dadurch hatten wir auch unser Gutes, vor allem wieder einmal Fleisch zu essen.

Eines Nachts kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den russischen Militärs und dem Polen, der bei uns wohnte. Dabei wurde er tüchtig verprügelt. Uns war es mehr als recht. Diesen Vorfall nahm der Pole zum Anlaß und forderte unsere Mutter auf, die Wohnung innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Er meinte, wir hätten diesen Zwischenfall inszeniert.

Unsere Mutter suchte nach einer Bleibe. Zuerst fanden wir Unterkunft bei Tante Bari in Schidlitz. Dort war es auch sehr beengt. Wenn ich mich recht erinnere, waren dort auch Tante Hedwig und Tante Lene. Helmut und ich schliefen auf dem Trockenboden. Aus der Ostseestraße durften wir nur das Kinderbettgestell und unsere Federbetten mitnehmen. Georg, unser Vetter, half uns mit einem Handwagen beim Umziehen.

Noch zweimal wechselten wir die Bleibe. Erst ging es nach Ohra in die Gartenanlage am Petersberg zu einer uns bekannten Familie und von dort dann in die Neue Sorge in eine leerstehende Wohnung. Nebenan wohnte die uns bekannte Familie Heintze. Diese Wohnung hatte ein Zimmer und Küche voller Wanzen. Die Toilette war im Keller. So etwas kannten wir nicht.

Weiterhin gingen unsere Mutter und ich täglich zur Arbeit auf die Baustelle der Frauenklinik in Langfuhr. Es mußte ja Geld verdient werden, um etwas zum Essen zu haben. Ein langer und beschwerlicher Weg, eine Stunde, gut 6 km, über den Zigankenberg, vorbei am Sportplatz Albert Forster, am Städtischen Krankenhaus, über die Halbe Allee, vorbei an der Sporthalle zum Ziel.

Helmut, 11 Jahre alt, als Chef der Restfamilie, war verantwortlich für die drei Schwestern und hatte für das nötige Brennholz zu sorgen. Dazu riß er eine Gartenlaube nach der anderen in der Gartenanlage neben uns ab. Die Besitzer waren nicht mehr anwesend. Das Holz zerkleinerte er auf unserem Hof. Am Sonntag kochte unsere Mutter so viel Eintopf, daß es für die Woche reichen mußte. Brot hatten wir auf Lebensmittelkarten gekauft. Aus der Wohnung trauten sich unsere Schwestern nicht heraus. Auch hatte es die Mutter streng verboten. Mit Schrecken dachten wir an den herannahenden Winter. Wie sollten wir überleben? Eine Antwort fanden wir nicht. Dieses Problem löste sich schneller als gedacht, aber auch schmerzlicher.


Mutter Lotte
     
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