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Einleitung Josef Leo Johannes

Die Vertreibung 1945

     
 

Ende November, Mutti und ich machten Mittagspause auf der Baustelle Frauenklinik, traf die Restfamilie (4 Kinder: 12. 11 9. 2 Jahre) ohne Hab und Gut bei uns ein, voran Helmut, mit Uschi auf den Schultern. Wie hatten sie es nur geschafft? „Wir mußten die Wohnung verlassen. Die Deutschen wurden zusammengetrieben. Wir hauten aber ab, um zu euch zu kommen,“ so seine Erklärung, und froh, zusammen zu sein. Wie richtig hatten sie entschieden. Was wäre aus unserer Familie geworden, was aus den Kindern, allein dem Schicksal überlassen? Wie mutig waren sie! Was nun? Unsere Mutter entschied: „Wir gehen zurück, versuchen in die Wohnung zu kommen, um noch Kleinigkeiten zu holen.“

Aber wir durften nicht mehr in die Wohnung. Die Miliz hatte den Wohnkomplex abgesperr t. Auf der Karthäuser Straße, in der Höhe des Kolpingheimes, standen die zusammengetriebenen Deutschen, meist Alte und alleinstehende Mütter mit ihren Kindern unter Bewachung der polnischen Miliz. Wir reihten uns mit ein, trafen dort auch die Familie Heintze. Deren Tochter war mit uns gemeinsam von der Arbeit in Langfuhr gekommen.

Unsere Kolonne bewegte sich unter Bewachung über Neugarten, Olivaer Tor, Schi­chauwerft, Neuschottland in das Narvik-Baracken-Lager. In diesem Lager war Onkel Leo am 26. Mai 1945 verstorben. Wir verbrachten in diesem Lager ca. zwei Tage. Verpflegung und Schlafstätten gab es nicht. Ja, man verlangte von uns noch Geld, deutsche Reichsmark, um überhaupt Danzig verlassen zu dürfen.

Unsere Arbeitsstelle, die Frauenklinik, war vom Lager nicht weit entfernt, und weil wir noch Lohn zu bekommen hatten, baten wir die Miliz, diesen holen zu dürfen. In Begleitung eines Postens gingen Mutti und ich, sowie Lucie Heintze, zur Frauenklinik. Der polnische Meister ließ uns Mittag geben und zahlte uns den Lohn aus: 100 Zloty pro Person. Mit diesem Geld kauften wir Eßwaren, insbesondere Weißbrot, ein Brot 20 Zloty, und behielten noch etwas für unterwegs. Somit war die Verpflegung für zwei bis drei Tage gesichert. Auf dem Rückweg nahm uns keiner etwas weg, wir hatten ja Bewachung. Im Lager warteten schon die Geschwister, freuten sich, uns wiederzusehen.

Am nächsten Tag zogen die Zusammengetriebenen in Kolonne unter Bewachung zum Güterbahnhof nach Danzig. Hier war ein Zug mit unterschiedlichen Waggons zusammengestellt worden: Personenwagen ohne Fenster, Viehwaggons und offene Wagen. Wir erkämpften Plätze in einem Personenwagen. Nun hatten wir wenigstens ein Dach über dem Kopf. Es herrschte kühles, naßkaltes Wetter. Im Waggon kein Wasser, keine intakte Toilette, kein Licht und zerstörte Fensterscheiben. Wir warteten auf die Abfahrt des Zuges. Ein polnischer Offizier kam durch den Waggon und sagte uns, daß auf Beschluß der Siegermächte die Deutschen das Land östlich der Oder zu verlassen hätten. Nach langer Wartezeit setzte sich der Elendszug in Bewegung. Aus deutschen Kehlen erklang das alte Volkslied „Nun ade, du mein lieb Heimatland“. Es war mehr ein Schluchzen als Gesang.

An die Fahrzeit sowie die Strecke können wir uns nicht mehr erinnern. Unterwegs wurden auf den Bahnhöfen weitere Vertriebene zugeladen. Bei den Aufenthalten auf offener Strecke wurde den Menschen noch das Letzte, was sie hatten, abgenommen. Manch einer mußte ein warmes Bekleidungsstück ausziehen. Diese Aufenthalte wurden auch zur Verrichtung der Notdurft genutzt, oder um Wasser zu holen und zum Kochen. Wann es weiterging, konnte uns niemand sagen. Die Lok pfiff, und ein jeder mußte zusehen, wieder auf den Zug zu kommen. Manch ein Alter oder auch ein Kind blieben zurück.

Auch an eine Bewachung kann ich mich nicht erinnern. Auf dem Bahnhof in Scheune bei Stettin angekommen, mußte der Zug verlassen werden. Uns scheint, dort Tausende schon Angekommene gesehen zu haben. Von hier, so sagte man uns, sollten uns Züge aus der russisch besetzten Zone abholen.

Unterkunftsmöglichkeiten gab es nicht. Bei dem naßkalten Wetter kampierten die Menschen im Freien. Was für ein Hohn! Auch hier wurden Reichsmark verlangt, um weiterfahren zu können. Verpflegung gab es auch nicht. Nur gut, daß wir noch etwas Weißbrot hatten. Andere hatten nichts. Oft fragen wir uns, wie unsere Schwester Uschi mit ihren zwei Jahren diese Strapazen überstehen konnte. Keinen Tropfen Milch, und das schon monatelang. Nur trockenes Brot und Wasser.


     
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